Eine Dekoroberfläche muss Emotionen wecken

Michele Marcon 

Das in Asolo ansässige Studio Michele Marcon Designer GmbH ist auf Industrie- und Innendesign spezialisiert und arbeitet mit einigen der renommiertesten Unternehmen der Möbelbranche zusammen.

WOODNEWS im Gespräch mit Michele Marcon
NOVEMBER 2023

Designer Michele Marcon und sein Unternehmen entwerfen hochwertige Möbel und Einrichtungselemente, gestalten Oberflächen und Dekore und schaffen repräsentative Wohnräume. In all diesen Elementen ist der rote Faden des Stils des Designers deutlich erkennbar, seine unverwechselbare Handschrift nüchtern, klar, essentiell, aber gleichzeitig frei, lebendig und vital. Im Interview verrät er uns, wie neue Designs entstehen und welche Trends derzeit in der Einrichtungsbranche angesagt sind.

Was sind heute die wichtigsten Trends beim Interior Design?

Auf der Möbelmesse „Salone del Mobile“ 2023 habe ich bei mehreren Unternehmen eine gewisse Angst davor, falsche Wege einzuschlagen, verspürt. So haben sich viele Unternehmen auf ein Restyling beschränkt, während nur wenige etwas mutiger waren, meistens diejenigen, die Einrichtungsgegenstände herstellen, wo ein Fehler weniger schwerwiegend ist, im Gegensatz zu denen, die eine ganze Kollektion oder Küchensysteme produzieren. Bei den modularen Systemen gehen die Farbtrends eindeutig in Richtung Metall, wenn auch flacher und leichter als in den vergangenen Jahren. Verwendet werden Lackierungen, die aus der Nähe wie Metall wirken, wobei der Zusatz von Perlglanz den typischen Chamäleoneffekt ergibt. Dabei dominieren sehr matte und gesättigte Farben. Zu den beliebtesten gehören bewährte Farben wie Bronze, Blei und Anthrazit, aber auch einige Trendfarben wie Lachs und Aquamarin. Bei den Furnierhölzern ist immer noch die Eiche dominant.
Ein neuer Trend, der sich in der mittleren bis hohen Preisklasse abzeichnet, ist Eukalyptus. Sehr präsent in allen Varianten, von natürlich bis thermobehandelt, aber auch eingefärbt. Außerdem Kombinationen mit echten Metallen und mit Stein, insbesondere Naturstein. Diese Materialien sind vorwiegend in den Accessoires präsent, zum Beispiel bei Couchtischen oder einfachen Einrichtungsgegenständen aus echtem Stein, während Glas und Metall eine untergeordnete Rolle spielen.
Generell kann ich wenig Muster feststellen, obwohl ich in letzter Zeit den Trend zu digitalisiertem Glas beobachte, das das Aussehen von Marmor und Naturstein nachahmt.

Alles beginnt mit einer Emotion, von der ich glaube, dass sie in einem Paneel, einer Küchenfront oder einer Wandverkleidung zum Ausdruck gebracht werden kann.

Wie läuft der Prozess der Entwicklung eines Dekors ab und woher nehmen Sie Ihre Inspiration?

Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Eine kann sein, dass man die Mitbewerber gründlich analysiert und versucht, sich an ihnen zu orientieren. Das heißt, wenn eine bestimmte Holzart im Trend liegt, muss man diese unbedingt im Sortiment haben. Man kann sie anpassen und mit eigenen Farbtönen oder Dekoren einzigartig machen, folgt aber trotzdem dem Trend. Diese Wahl wird gemeinsam mit dem Unternehmen getroffen. Der Designer lässt dann seinen eigenen Geschmack einfließen und beginnt zusammen mit den Technikern des Betriebs eine Feinabstimmung der Farben, damit der gewünschte Ton erzielt wird. Dann gibt es noch den kreativen Teil, der die emotionale Seele eines Dekors betrifft, bei dem zu 70 % das Ego und die Fantasie des Designers und zu 30 % die Technik und der praktische Nutzen einfließen. Einige Hersteller arbeiten mit verschiedenen Architekten zusammen, die sich in erster Linie auf dem globalen Markt inspirieren lassen und daher nicht auf bestimmte Branchen beschränkt sind. Sie suchen nach Trends, die oft aus der Welt der Mode, der Kunst und sogar der Automobilindustrie stammen, wie z.B. Bronze und supermatte Farben. Viele Ideen entspringen dem persönlichen Ego des Architekten und sind auf seine Emotionen zurückzuführen. Als ich zum Beispiel eine bestimmte Struktur entwickelte, wollte ich ein Dekor schaffen, das ein mediterranes Flair vermittelt. Ich habe mich von den historischen Wänden einiger apulischer Häuser inspirieren lassen, die mit ihrer charakteristischen unregelmäßigen Oberfläche diese typische Mittelmeer Atmosphäre ausstrahlen. Diese Art von Finish wird nicht geschaffen, weil es das Unternehmen fordert, sondern es sind Empfindungen, die man aufgreift. Bei der Entwicklung eines anderen Dekors habe ich mich von der Marke Chanel inspirieren lassen, die das Matelassé-Motiv verwendet, das für Chanel so typisch ist. Das Rautenmuster wurde überarbeitet und als Oberflächendekor eingesetzt. Die Inspiration kommt also teils aus der Mode, teils aus der Architektur und teils aus der Oberflächengestaltung. Es sind allerdings immer Ideen, die ein inneres Gefühl wecken müssen, nicht etwas, das man sieht und kopiert. Ein Dekor muss Emotionen wecken, um zu einem gelungenen Produkt zu werden. Bei einem Unternehmen, das mit antiken Hölzern arbeitet, habe ich zum Beispiel fossile Eiche entdeckt, die die Natur über Jahrtausende hinweg bewahrt hat. Wenn diese kostbaren Holzstämme eingeschnitten werden, werden wunderbare Nuancen sichtbar. Farben und Schattierungen, die in der Lage sind, Emotionen auszulösen.

Wie lange dauert die Entwicklung eines neuen Dekors?

Natürlich arbeiten wir an mehreren Kollektionen gleichzeitig. Wenn man Brot als Vergleich nimmt, kann man sagen, dass eine Bäckerei normales Brot anbietet, dazu Vollkornbrot für jene, die dieses vorziehen, und Olivenbrot für diejenigen, die etwas mehr ausgeben wollen. Das normale Brot muss jedes Unternehmen im Sortiment haben. Für uns bedeutet das, dass wir an jenen Dekoren arbeiten müssen, die auf keinen Fall im Sortiment fehlen dürfen. Der Designer arbeitet ständig mit dem Unternehmen zusammen, um diese zu verbessern, denn sie machen den größten Teil des Umsatzes aus. Und dann gibt es noch das Olivenbrot, das nicht unbedingt notwendig ist, aber das Unternehmen wiedererkennbar macht. In diesem Fall hat das neue Dekor kein wirkliches Timing. Solange das Produkt nicht ausdrückt, was es ausdrücken soll, kommt es nicht auf den Markt. Es gibt Fälle, wo das Produkt schon zu 100 % fertig ist, aber wir beschließen, mit der Markteinführung noch eineinhalb Jahre zu warten. Es geht darum, den Markt im Auge zu behalten, um das Produkt nicht zu verbrennen. Für ein Fantasieprodukt, das sich als kreatives Produkt versteht, gibt es keine bestimmte Zeitvorgabe, während wir uns bei normalem Brot an die Messetermine halten müssen, die Fristen und Prioritäten vorgeben.

Wie lange bleibt ein neues Design im Sortiment?

Sicherlich gibt es Produkte, die unsterblich sind, aber nur, wenn man Design mit viel Zweckmäßigkeit kombiniert. Ein modernes Design hält sich zwei bis drei Jahre, aber es gibt auch Designs mit besonders praktischen Eigenschaften, die sich nach sechs bis sieben Jahren immer noch wie warme Semmeln verkaufen.

In den letzten Jahren haben die Oberflächen ein immer realistischeres Erscheinungsbild bekommen. Wie wichtig ist die Haptik bei Dekoren?

Es hat eine unglaubliche Entwicklung der taktilen Qualität von Oberflächen stattgefunden, die fast schon als Herausforderung empfunden wurde. Wenn ein Designer auf Hersteller von Prägeblechen trifft, die genauso begeistert sind, wie er selbst, dann entstehen wundervolle Ergebnisse. Es gibt Prägebleche, deren Herstellung bis zu 2-3 Monate dauert und wofür die Unternehmen viel investieren. Für die Produktion dieser Bleche bedarf es viel Fräsarbeit und weiterer Behandlungen. Die Unternehmen versuchen ständig die Haptik weiterzuentwickeln. Je haptischer das Produkt ist, desto erfolgreicher wird es sein. Aber es muss immer einen Pionier geben, der diese Entwicklung vorantreibt.

Die enorme Palette an Oberflächen erfüllt höchste Ansprüche an Haptik und Ästhetik für alle Stilkombinationen

Welche Rolle spielt die mechanische Beständigkeit bei Dekorflächen? Welches sind dafür die wichtigsten Anforderungen?

Mit den heute zur Verfügung stehenden Pressen und Papieren (Overlay, Dekorpapier, Kraftpapier) lässt sich generell ein gutes Ergebnis erzielen, was die Abnutzung betrifft. Die gefragteste Oberfläche ist wahrscheinlich der Anti-Fingerprint-Effekt, d.h. Schweiß und Fett von der Hand hinterlassen keine Spuren auf der Oberfläche.
Der zweite Aspekt ist der Schmutz. Im Falle einer besonders tiefen Struktur wird der Graphittest durchgeführt. Dazu wird eine Bleistiftmine auf sehr feinem Sandpapier abgerieben. Das dabei entstehende Graphitpulver wird auf die Platte aufgetragen und dann durch Reinigen der Oberfläche entfernt. Dies ist der härteste Test für ein Paneel, denn das Graphitpulver dringt am tiefsten in die Vertiefungen ein. Es ist nicht nur die Tiefe, die die Verschmutzung beeinflusst. Bei der Herstellung der Prägebleche müssen die scharfen Kanten der Mikrostruktur abgerundet werden. Aus technischer Sicht gilt: Je tiefer das Relief in der Platte, desto abgerundeter müssen die Konturen sein, um keine Probleme für das Papier selbst zu verursachen.

Wie wichtig ist der Preis für ein hochwertiges Dekor?

Viele Unternehmen haben sich ihren Markt durch die Herstellung von Qualitätsprodukten aufgebaut. Wenn ein Produkt auf dem Markt wiedererkennbar ist, sind 3, 4 oder 5 Euro mehr nicht von Bedeutung. Der Preis ist wichtig, vor allem im Segment der Standardprodukte. In diesem Fall darf das Produkt, das auf jeden Fall immer hochwertig sein muss, bis zu 10 % mehr kosten. Bei Dekoren, die nur ein einziges Unternehmen anbietet, kann ein Paneel auch 20 bis 50 % teurerer sein als bei der Konkurrenz, eben gerade, weil es sich um ein exklusives Produkt handelt. Besondere Produkte sind ein Fall für sich. Letztendlich kann ein hochwertiges Produkt wirklich einen Unterschied machen. Ein Beispiel: wenn man eine 5 m² große Wandverkleidung mit einem höherwertigen Dekor gestaltet, wird man den Unterschied sofort erkennen. Wie es so schön heißt: Das Produkt ist sein Geld wert.

„Der Wert und die Eleganz eines Paneels werden nicht nur mit der Hand wahrgenommen, sondern als Emotion empfunden.”

Als Designer stehen Ihnen neben Echtholz eine ganze Palette an Dekoren zur Verfügung, die gewissermaßen versuchen, die Natur zu imitieren. Welche Entwicklung beobachten Sie auf dem Markt in dieser Hinsicht?

Wenn in den 80er und 90er Jahren ein Unternehmen Küchen aus Holz herstellte, handelte es sich um echtes Holz. Falls die Küche farbig war, war sie meistens lackiert. Dann eroberten die Dekorspanplatten den Markt. Bei lackierten und beschichteten Platten gab es die sogenannte „Finitura Sei“, die in der Bürowelt gut ankam, nicht aber in der Wohnwelt. Später entwickelte sich der Markt weiter und Holz wurde aus dem mittleren Preissegment in die Oberklasse verdrängt. Heute wird Echtholz, das ich für meine Kunden immer bevorzuge, den Ansprüchen der hohen Preisklasse gerecht. Für das immer noch starke Verlangen nach Holzoptik im unteren Mittelbereich gibt es Produkte aus Dekor. Eine Küche aus echtem Holz ist im Vergleich weitaus mehr als 10 % teurer. Wir können es mit einem Auto mit Kunstledersitzen vergleichen, das den Eindruck erweckt, in einem höherwertigen Auto zu sitzen.

Bieten Dekoroberflächen auch Vorteile gegenüber Holz?

Bei Echtholz gibt es immer die Schwierigkeit, Massivholz mit Holzdekore zu kombinieren. Echtes Holz kann gewisse Probleme mit sich bringen, wie beispielsweise die Lichtbeständigkeit im Falle einer Küche in einem Schaufenster oder Ausstellungsraum, bei der bereits nach einem Jahr die Fronten verblassen. Es kann vorkommen, dass die Teile hinter der Insel dunkler und die im vorderen Bereich heller sind, während bei einer Dekoroberfläche diese Art von Problem nicht auftritt. Diese Probleme müssen dem Endkunden, der Ästhetik und Zweckmäßigkeit zugleich wünscht, ausreichend erläutert werden. Wir sprechen hier von Kunden, für die der Unterschied zwischen ABS- und Furnierkante nicht relevant ist.

Können Sie die drei wichtigsten Faktoren bei der Entwicklung eines Dekors zusammenfassen?

Der erste Faktor ist, dass das Dekor ansprechend sein muss. Das bedeutet, das Dekor muss auf den ersten Blick gefallen. Ein neues Produkt muss auch Leuten gezeigt werden, die nichts davon verstehen, es muss der Allgemeinheit gefallen, weil der Designer und das Unternehmen, die es konzipiert haben, es ohnehin für schön halten. Wenn allerdings die Resonanz von Menschen, die nichts davon verstehen, nicht gut ist, ist es besser, das Projekt nicht fortzuführen. Der zweite Aspekt, den es zu bewerten gilt, ist, an welche Zielgruppe man das Produkt verkaufen möchte. Richtet sich das Produkt an den Objektbereich, den Wohnbereich, an Küchenhersteller oder an Serienmöbelproduzenten? Wenn man ein Dekor entwirft, muss man erst prüfen, ob es attraktiv ist, dann untersucht man die Positionierung im Markt und wenn diese definiert ist, bewertet man die Machbarkeit und den Preis. Bei einem Dekor für Kinderzimmer beispielsweise wird der Preis der wichtigste Faktor sein (siehe Abb. 1).

Wie hat sich der Markt für Interior Design entwickelt?

Die Innenarchitektur hat in den letzten Jahren eine eigene Dimension entwickelt. Mir ist aufgefallen, dass viele namhafte Tischlereien in den letzten 10 Jahren den Sprung in das Luxussegment gewagt haben. Jeder möchte sein eigenes Produkt haben und seine eigene Realität schaffen, denn dadurch wird er einzigartiger. Indem man ein Luxusprodukt herstellt, d.h. nicht vom Mainstream kopiert, sondern sein eigenes Produkt kreiert, ist man auf dem globalen Markt attraktiver. Dies führt zur Schaffung eines Pools von Tischlereien, in dem jeder seine eigene Kunst macht, vergleichbar mit der Modewelt, wo jede Marke ihren eigenen, klar definierten Stil pflegt. Tischlereien, die mit ihrem Produkt einen eigenen Stil erschaffen haben, sind besser vor Angriffen der Konkurrenz geschützt. Im Bereich des Massivholzes hingegen bedienen alle die gleichen Trends, und selbst im kommerziellen Bereich unterscheiden sich die Produkte wenig.

Wood News bedankt sich bei Herrn Michele Marcon, für das interessante und aufschlussreiche Interview


Eine Dekoroberfläche muss Emotionen wecken

Kategorie: Pichler Wiki, Rund ums Holz, Wissenswertes